Die neue Armutsstrategie – wie weiter?

Von SP Sissach u. U., 2. Oktober 2022

Am Samstag fand im Schloss Ebenrain die jährliche Sissachertagung statt, die ich als Vizepräsidentin des Verbands für Sozialhilfe (VSO) mitorganisiert habe. Moderiert von Cornelia Kazis haben wir uns dieses Jahr mit der neuen kantonalen Armutsstrategie befasst, die der Regierungsrat 2020 verabschiedet hatte. Die Armutsstrategie umfasst fünf Handlungsfelder: Bildungschancen, Erwerbsintegration, Wohnversorgung, gesellschaftliche Teilhabe und Alltagsbewältigung sowie soziale Existenzsicherung. Für die fünf Handlungsfelder hat der Kanton Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden sowie des Landrats, Hilfswerke, Verbände und weitere Stellen miteinbezogen. Zusammen wurden 46 zu prüfende Massnahmen erarbeitet, wovon 21 bereits geprüft und umgesetzt wurden. Als wesentliche Grundlage diente der von der FHNW aktualisierte kantonale Armutsbericht.

Ich habe festgestellt, dass noch kein anderer Kanton eine Armutsstrategie entwickelt hat. Der Kanton Baselland hat demnach eine Vorreiterrolle. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Der Soziologieprofessor Dr. Ueli Mäder erörterte uns in seinem spannenden Eingangsreferat, wie Armut definiert bzw. weg definiert wird. Gemäss seiner Definition ist «Armut ein Mangel an sozialer Sicherheit. Sie wird weg definiert, wenn wir beispielsweise ‹working poor› auf Haushalte mit 90 Prozent Erwerbstätigkeit reduzieren, die Bruttoeinkommen mit den Nettomieten korrelieren und Studien ignorieren. Armut kann bewältigt werden, dies hängt aber vom politischen Willen und Verständnis ab».

Prof. Dr. Oliver Hümbelin, Sozialforscher, hielt fest, dass im Baselbiet rund 9000 Menschen arm sind. Er wies darauf hin, dass die Zahl der Menschen, die mit weniger als dem Existenzminimum leben, aber keine Sozialhilfe beziehen, zwischen 35 und 40 Prozenz liegt. Dies kann damit erklärt werden, dass Armut immer noch schambehaftet ist, Menschen Angst haben, sich bei der Sozialhilfebehörde oder bei einem Sozialdienst zu melden, und der Sozialhilfebezug ein Grund sein kann, weshalb eine Ausländerin oder ein Ausländer die Schweiz verlassen muss.

Domenico Sposato, Geschäftsleiter Caritas beider Basel, sensibilisierte uns unter anderem dafür, welche Auswirkungen Armut auf Kinder hat. Kleine Dinge wie ein Lager belasten das Familienbudget oft sehr. Beengte Wohnverhältnisse und zu wenig Rückzugsmöglichkeiten können dazu führen, dass ein Kind Schwierigkeiten hat, sich auf die Hausaufgaben zu konzentrieren. Aus Scham- und Schuldgefühlen trauen sich die Kinder nicht, ihre Freundinnen und Freunde zu sich nach Hause einzuladen, und ziehen sich zurück.

Regierungsrat Dr. Anton Lauber und Fabian Dinkel, Leiter des Kantonalen Sozialamts, haben erläutert, dass die finanzielle Belastung von Familien und Alleinerziehenden durch das Mietzinsbeitragsgesetz reduziert werden soll, das aktuell im Landrat beraten wird. Ausserdem wurde beim neuen Sozialhilfegesetz der Grundbedarf automatisch der Teuerung angepasst.

Durch die spannenden Inputs der Referenten an der Sissachertagung sowie die angeregten Diskussionen wurde ich einmal mehr für das Thema Armut sensibilisiert und in meiner Haltung bestärkt, dass Armut kein Verbrechen ist. Nun hoffe ich, dass Kanton und Gemeinden bestrebt sind, die weiteren Massnahmen zu prüfen und umzusetzen. Alle Menschen haben Fähigkeiten. Durch eine gute Beratung können die Kompetenzen erkannt und Menschen bestärkt und integriert werden.

Caroline Zürcher, Gemeindepräsidentin Wittinsburg, SP

Dieser Beitrag erschien am 13. September 2022 als „Carte blanche“ in der „Volksstimme“.