Veraltete Modelle behindern Chancengleichheit

Von SP Sissach u. U., 1. Mai 2023

Es gibt einiges, das mich immer wieder beschäftigt und mich dazu gebracht hat, in der Politik aktiv zu werden. Es sind Themen wie Umweltschutz, Verkehrspolitik, Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Einwanderung, gute Bildung oder Gleichstellung von Frau und Mann. Was einige dieser Punkte dabei gemeinsam haben und für mich ein Leitgedanke ist, das ist die Chancengerechtigkeit. Meine Idealvorstellung, dass alle Menschen die gleichen Bedingungen haben, ist mein Kompass. Dass dieses Bestreben eher selten auch der Wirklichkeit entspricht, muss ich immer wieder zur Kenntnis nehmen und das spornt mich gleichzeitig immer wieder an, mich politisch zu engagieren.

Etwas, das bei uns in der Schweiz in Schieflage geraten ist und wo die Chancengleichheit nicht gegeben ist, ist die Altersvorsorge. Das Modell mit der AHV als 1. Säule, der «obligatorischen» Pensionskasse als 2. Säule und der privaten Vorsorge als 3. Säule ist eigentlich überholt und nicht mehr zeitgemäss. Die Pensionskasse ist zwar obligatorisch, aber erst ab einem gewissen Einkommen. Wer ein Einkommen erzielt, das unter der Eintrittsschwelle liegt, darf, kann oder muss nicht einzahlen. Damit fällt die wichtige 2. Säule für viele Erwerbstätige weg. Wer Teilzeit oder in einem Beruf mit tiefem Lohn arbeitet, kann somit weniger fürs Alter ansparen.

Solange bei einem Ehepaar einer der beiden Partner 100 Prozent arbeitet und gut verdient oder beide Partner arbeiten können und die Ehe nicht geschieden wird, funktioniert das Modell eigentlich gut. Nur wissen wir, dass die Scheidungsrate bei etwas mehr als 50 Prozent liegt und somit der Idealfall in Bezug auf die Pensionskasse oft nicht eintritt.

Womit ich den Bogen zur Chancengleichheit schlage: In den allermeisten Beziehungen kümmern sich die Frauen mehrheitlich um die gemeinsamen Kinder und haben nur begrenzt die Möglichkeit, frei darüber zu entscheiden, ob sie ausser Haus einer bezahlten Arbeit nachgehen. Möchten beide Elternteile arbeiten gehen, fallen hohe Kosten für die Kinderbetreuung an. Längst nicht alle Grosseltern wohnen in der Nähe oder können einen Teil der Kinderbetreuung übernehmen. Oder vielleicht wollen oder können sie dies schlicht und einfach nicht. Der Punkt ist: Wäre die familienexterne Kinderbetreuung günstiger oder sogar kostenfrei zugänglich, könnten beide Partner einfacher zum gemeinsamen Einkommen beitragen. Ausserdem besteht oft keine Wahl: Viele Familien sind auf ein zweites Einkommen angewiesen.

Für Alleinerziehende ist eine gute und bezahlbare Kinderbetreuung sowieso unabdingbar. Aus all diesen Gründen bin ich überzeugt, dass sich der Staat finanziell mehr an der Kinderbetreuung beteiligen muss. Diese Beteiligung zahlt sich in vielerlei Hinsicht aus. Und damit kann sowohl dem Fachkräftemangel als auch der oftmals weiblichen Altersarmut begegnet werden. Und: Der Chancengerechtigkeit kämen wir einen beachtlichen Schritt näher.

Sandra Strüby-Schaub, Landrätin SP, Buckten

Dieser Beitrag erschien am 28. April 2023 als „Carte blanche“ in der „Volksstimme“.